Interview: Fachkräftemangel in Deutschland

Dr. Josef Amann, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern, Leiter Abteilung Berufsbildung hat sich unseren Fragen gestellt.

Interview: Fachkräftemangel in Deutschland

1) Herr Dr. Amann, das Wort „Fachkräftemangel“ ist in aller Munde. Sind wir in Deutschland bereits mittendrin?

Dr. Amann: Es besteht in der Tat die Gefahr eines Fachkräftemangels, wenn wir nicht rechtzeitig gegensteuern. Denn durch die demografische Entwicklung könnte es in einigen Bereichen bereits in wenigen Jahren eng werden. Schließlich müssen Fachkräfte über Jahre aufgebaut werden, um ausscheidende Mitarbeiter abzulösen. Das benötigt einen zeitlichen Vorlauf und scheint vielen nicht bewusst zu sein. Für einige Bereiche wie beispielsweise Mathematik, Technik und Ingenieurswesen besteht bereits heute ein Mangel an geeigneten Mitarbeitern. Dieser Fachkräftemangel ist nicht branchenübergreifend, kann sich aber durchaus zu einem Flächenbrand ausweiten. Hier greifen außerdem auch regionale Aspekte. In den neuen Bundesländern sieht es jetzt schon kritischer aus. Wenn wir hieraus nicht lernen, könnten wir in acht bis zehn Jahren die gleiche Situation auch in den alten Bundesländern haben.

2) Wie sieht es bei den Berufeinsteigern aus? Gibt es hier bereits Probleme, Stellen adäquat zu besetzen?

Dr. Amann: Auch für den Berufseinstieg gilt, dass sich einige Bereiche einer größeren Beliebtheit erfreuen als andere. So zieht beispielsweise alles, was mit Design, Grafik und Medien zu tun hat, junge Menschen an. Dagegen können andere Berufe neu und damit unbekannt sein oder in ihrer Akzeptanz abnehmen. So beobachten wir interessanterweise derzeit einen deutlichen abnehmenden Zulauf im Finanzsektor. Das war früher anders, eine Stelle in einer Bank oder Versicherung waren durchaus angesehen und begehrt.

3) Was können wir gegen diesen Fachkräftemangel tun?

Dr. Amann: Wir sehen eine große Chance darin, gemeinsam mit den Schulen für eine Berufsorientierung zu sorgen. Es gibt so genannte Kompetenzchecks, die den Schülern eine Rückmeldung über ihre Stärken gibt. Diese Stärken und Neigungen kann dann der Einzelne ausbauen und in die Berufswahl einfließen lassen. Auch in den Zeugnissen könnten die individuellen Kompetenzen stärker herausgestellt werden. Aber auch ein Umdenken auf Unternehmensseite wäre sinnvoll. Derzeit steht noch der formale Lebenslauf mit den entsprechenden Abschlüssen eines Schulabgängers im Vordergrund. Besser wäre hier die Frage nach den notwendigen Kompetenzen, die ein Kandidat mitbringen sollte.

4) Welche Schlüsselqualifikationen muss ein Berufseinsteiger mitbringen?

Dr. Amann: Als wichtige Qualifikationen gelten bei Arbeitgebern neben den fachlichen Qualifikationen Fähigkeiten wie Lern- und Leistungsbereitschaft sowie sprachlicher Ausdruck, aber auch Umgangsformen, Disziplin und Pünktlichkeit. Wir stellen häufig fest, dass diese Fähigkeiten heute oft nicht mehr in dem Ausmaß wie früher im Elternhaus gelernt werden. Schule und Ausbildungsunternehmen müssen dann häufig einspringen und als Ersatz fungieren. Die Arbeitsagentur für Arbeit aber auch wir bei der IHK machen den Unternehmen Angebote für eine sozialpädagogische Unterstützung. Meines Erachtens müssten wir viel früher ansetzen und verhindern, dass mittlerweile acht Prozent eines jeden Jahrgangs sogar ohne Schulabschluss bleibt. Hier laufen wir in ein gesellschaftliches Problem hinein, denn wir werden es uns in Zukunft nicht leisten können, auf sozial und fachlich qualifizierte Menschen zu verzichten.

Herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben!